Bela Chekurishvili
An den Vater(Triptychon)
I.
Du hast bei mir nach dem gesucht,
Was dir weder Geliebte noch Ehefrau
Zu sagen vermochte,
Was dir deine Mutter verschwieg
Und was die Nachbarin für dich nicht übrig hatte.
Bei mir hast du nach dem gesucht,
Was dir weder Wein noch Milch
Geben konnte.
Du hast weder Wasser noch Erde verstanden,
Du hast bei mir gesucht und geglaubt,
Ich würde es dir verraten, oder
Es würde mir irgendwie ausrutschen
Und starrtest mich hoffnungsvoll an,
Wie alte Kolchen die Leder im Fluss
Anstarrten, in der Hoffnung
Aus dem Flusssand
Körnchen um Körnchen Gold zu gewinnen.
Du hast geglaubt, die Vatersliebe ist jene Kraft,
Die das Dunkel vom Licht scheidet,
Was die Töchter dann aufmuntert
Verbotene Frucht abzupflücken,
Was nach der Sintflut den aus der Arche
Fliegenden Tauben bei der Suche
Nach dem Olivenbaumzweigchen
Beherzt zu Hilfe kommt.
Du hast geglaubt, dein Blut würde dir
Jenes Geheimnis verraten,
Welches die Frauen den Männern
Am Tag ihrer Austreibung aus dem Paradies
Verschwiegen haben.
Du hast auf mich gewartet und
An meinem Bett über die Nächte
Hindurch gewacht.
Du hast mich auf deinen Schultern getragen,
Mir Beim Tannenbaumzeichnen geholfen,
Hast mir erlaubt über deine Knochen zu gehen,
Erlaubt, dein Herz zu meiner Schaukel zu machen,
Hast nicht gegeizt und mir gegeben,
Das, was du weder der Geliebten, noch der Mutter
Gegeben hast und nie
Deiner Ehefrau und gar nicht der Nachbarnnute.
Hast mir Flügel vor dem Abflug zurechtgelegt und,
Wenn es mir an den Kostbarkeiten gefehlt hatte,
Mit deinem eigenen Fleisch ernährt.
Aber Eins hast du vergessen:
Dass die Kinder vor allen Dingen
Vor ihren eigenen Eltern flüchten,
Denn deren Liebe wird allmählich immer schwieriger,
Wie ein Stein, mit einem Seil
An unserem Hals fest gebunden,
Der die Kinder beim Schwimmen
Zum Flussboden zerrt,
Dass die Töchter dazu verdammt sind,
Nach den Spuren der fremden Männer
’rumlaufen zu müssen,
Dass sie Angst haben, die Liebe auch
Mit den Vätern teilen zu müssen,
Dass die Glut des Opferungslagerfeuers
Einmal verloren geht,
Dass sie nie das Geheimnis verraten werden,
Welches die Frauen den Männern
Am Tag ihrer Austreibung aus dem Paradies
Verschwiegen haben.
II.
Du hast mich gelehrt,
Dass diese Eiszapfen die Zähne des Drachen sind,
Der in unserem Hof haust,
Hast mich gelehrt, dass wenn ich
Die mit bunten Ketten geschmückten Tannen male,
Soll ich daneben auch einen Schneemann zeichnen,
Und wenn ein kleines Fräulein
In der Schule die Beste ist,
Wird es im Vatersherzen den Hauptplatz behalten,
Dass die Käferrücken im Dunkel wie Bügeleisen aussehen
Und dass die Käfer sehr feuerscheu sind,
Hast mich gelehrt: wenn wir den Kanarenvogel
Aus dem Käfig rauslassen,
Werden ihm wegen viel Fliegen
Seine Flügel wehtun,
Gelehrt, dass neben dem bösen Märchenriesen
Immer die Märchenriesenfrau steht
Und dass es Riesenhelden heute noch gibt,
Hast mich gelehrt, dass den Prinzessinenturm
Und die Erde um ihn herum fremde Ritter
Sehr viele Male anstürmen würden,
Dass man mir Frieden oder Wette
Tausendmal anbieten wird und,
Wenn ich immer Siegerin sein will,
Soll ich nicht dem Faden ins Labyrinth folgen,
Ich soll das Vatersgeheimnis keinem verraten.
Du hast mich gelehrt, dass die Männer so viel
Wie Blätter im Laub sind, doch der Vater
Wird uns vom Gott nur einmal geschenkt
III.
Als du mir sagtest,
Dass ich schöner würde, als der blühende Vogelkirschbaum
Und stärker, als ein Baobabbaum –
Hab’ ich dir geglaubt.
Ich hab’ dir geglaubt,
Als du mir sagtest, ich hätte im Wasser nichts zu suchen,
Weil du mir einen biegsamen Körper geben würdest,
Als denselben eines Fisches,
Und das Haus, das man mir bauen würde,
Fester sein wird, als alle Korallen der Welt.
Auch das hab’ ich dir geglaubt.
Was starrst du denn den Himmel an –
Hast du mir gesagt – und ich habe dir geglaubt,
Dass meine Augen schneller sein würden,
Als die Flügel der Vögel und dass die Sonne
Selber zu mir runterkommen würde.
Komm – hast du mir gesagt –
Die Bienen sind doch nicht zur solchen Treue
Oder Selbstopferung fähig, wie der Lehm,
Dem du die Mannesform gegeben hast
Und der sich dann nach Zweisamkeit sehnte,
Ich hab’ dir geglaubt und bin dir gefolgt.
Doch du hast diese Lehmfigur mehr geliebt als mich,
Weil das Erstgeschöpf
Immer ganz andere Zauber und Freude in sich hat,
Und deshalb hast du mir nicht verraten,
Dass ich mich einmal aus Scham
Mit Blättern bedecken würde,
Hast mir nicht verraten,
Dass man von mir auch das Muttersein verlangen würde
Und nicht nur das Ehefrausein,
Dass auch ich jemandes Kind sein würde
Und jeder Mann mit dem ich die gehende Sonne
Und den blühenden Vogelkirschbaum
Durch mein Blut teilen würde,
Von mir verlangen würde,
Nur ihm jenes Geheimnis zu verraten,
Das du mir am Tag der Austreibung aus dem Paradies
Leise anvertraut hast.
Er würde sich wünschen,
Dass auch dieser Sonnenschein
Und diese goldene Glut
Nur ihm gehörten,
Dass der Vater, der Ehemann,
Der Bruder und auch dessen Enkelkind
Aus Trotz zu Einander und in Fehde miteinander
Mich in unzählige Teile so zerfleischen würden,
Dass aus meinem Ursprung
Nur die Buchstaben meines Vornamen
Übrig geblieben wären